Niemand kann dir die Brücke bauen, auf der gerade du über den Fluß des Lebens schreiten mußt, niemand außer dir allein. und ich überlegte mir, was er zu den beiden Maximen der Erziehung sagen würde, welche in unserer Zeit im Schwange gehen. Ein neuer Grad der Kultur würde augenblicklich das ganze System menschlicher Bestrebungen einer Umwälzung unterwerfen.« Nun, wenn solche Denker gefährlich sind, so ist freilich deutlich, weshalb unsre akademischen Denker ungefährlich sind; denn ihre Gedanken wachsen so friedlich im Herkömmlichen, wie nur je ein Baum seine Äpfel trug: sie erschrecken nicht, sie heben nicht aus den Angeln; und von ihrem ganzen Tichten und Trachten wäre zu sagen, was Diogenes, als man einen Philosophen lobte, seinerseits einwendete: »Was hat er denn Großes aufzuweisen, da er so lange Philosophie treibt und noch niemanden betrübt hat?« Ja, so sollte es auf der Grabschrift der Universitätsphilosophie heißen: »sie hat niemanden betrübt«. Wer wird das Bild des Menschen aufrichten, während alle nur den selbstsüchtigen Wurm und die hündische Angst in sich fühlen und dergestalt von jenem Bilde abgefallen sind, hinab ins Tierische oder gar in das Starr-Mechanische? Es gibt in der Welt einen einzigen Weg, auf welchem niemand gehen kann, außer dir: wohin er führt? Ein jeder trägt eine produktive Einzigkeit in sich, als den Kern seines Wesens; und wenn er sich dieser Einzigkeit bewußt wird, erscheint um ihn ein fremdartiger Glanz, der des Ungewöhnlichen. Schopenhauer als Erzieher 4. Ich weiß es nicht; jedenfalls ist die Universitätsphilosophie einer allgemeinen Mißachtung und Anzweifelung verfallen. Sondern Befreiung ist sie, Wegräumung alles Unkrauts, Schuttwerks, Gewürms, das die zarten Keime der Pflanzen antasten will, Ausströmung von Licht und Wärme, liebevolles Niederrauschen nächtlichen Regens, sie ist Nachahmung und Anbetung der Natur, wo diese mütterlich und barmherzig gesinnt ist, sie ist Vollendung der Natur, wenn sie ihren grausamen und unbarmherzigen Anfällen vorbeugt und sie zum Guten wendet, wenn sie über die Äußerungen ihrer stiefmütterlichen Gesinnung und ihres traurigen Unverstandes einen Schleier deckt. Der andre Weg führt ihn mit seltneren Wanderschaftsgenossen zusammen, er ist schwieriger, verschlungener, steiler; die, welche auf dem ersten gehen, verspotten ihn, weil er dort mühsamer schreitet und öfter in Gefahr kommt, sie versuchen es, ihn zu sich herüberzulocken. Aber auch wenn uns die Zukunft nichts hoffen ließe – unser wunderliches Dasein gerade in diesem Jetzt ermutigt uns am stärksten, nach eignem Maß und Gesetz zu leben: jene Unerklärlichkeit, daß wir gerade[288] heute leben und doch die unendliche Zeit hatten zu entstehen, daß wir nichts als ein spannenlanges Heute besitzen und in ihm zeigen sollen, warum und wozu wir gerade jetzt entstanden. Schamhaftigkeit vielleicht bei einigen und seltnen. Selbst nicht mit dem gefälligen gesellschaftlichen Betrug, den fast jede Unterhaltung mit sich bringt und welchen die Schriftsteller beinahe unbewußt nachahmen; noch weniger mit dem bewußteren Betrug von der Rednerbühne herab und mit den künstlichen Mitteln der Rhetorik. Jeder weiß und sieht dies: wie ist es also nur möglich, daß trotzdem die Jünglinge keineswegs vor solchen Knochenmenschen zurückschrecken und immer von neuem wieder sich blindlings und wahl- und maßlos den Wissenschaften übergeben? Beinahe sieht es nun so aus, als ob Plato wirklich etwas erreicht habe. Ach, und nichts Besseres? Deshalb entstand nicht nur an einer Stelle der Erde die Vermutung, daß die Seelen schuldbeladner Menschen in diese Tierleiber gesteckt seien, und daß jenes auf den nächsten Blick empörende sinnlose Leiden vor der ewigen Gerechtigkeit sich in lauter Sinn und Bedeutung, nämlich als Strafe und Buße auflöse. Ebensowenig werden wir, wenn Schopenhauer spricht, an den Gelehrten erinnert, der von Natur steife und ungeübte Gliedmaßen hat und engbrüstig ist und deshalb eckig, verlegen oder gespreizt daherkommt; während auf der anderen Seite Schopenhauers rauhe und ein wenig bärenmäßige Seele die Geschmeidigkeit und höfische Anmut der guten französischen Schriftsteller nicht sowohl vermissen als verschmähen lehrt und niemand an ihm das nachgemachte, gleichsam übersilberte Scheinfranzosentum, auf das sich deutsche Schriftsteller so viel zugute tun, entdecken wird. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst. Die Sehnsucht nach starker Natur, nach gesunder und einfacher Menschheit, war bei ihm eine Sehnsucht nach sich selbst; und sobald er die Zeit in sich besiegt hatte, mußte er auch mit erstauntem Auge den Genius in sich erblicken. Ich könnte mir recht gut einen Grad von Stolz und Selbstachtung denken, bei dem ein Mensch zu seinen Mitmenschen sagt: sorgt ihr für mich, ich habe Besseres zu tun, nämlich für euch zu sorgen. Auch bei ihm findet sich das Wissen um das Ziel der Kultur nicht. Die Künstler allein hassen dieses lässige Einhergehen in erborgten Manieren und übergehängten Meinungen und enthüllen das Geheimnis, das böse Gewissen von jedermann, den Satz, daß jeder Mensch ein einmaliges Wunder ist; sie wagen es, uns den Menschen zu zeigen, wie er bis in jede Muskelbewegung er selbst, er allein ist, noch mehr, daß er in dieser strengen Konsequenz seiner Einzigkeit schön und betrachtenswert ist, neu und unglaublich wie jedes Werk der Natur und durchaus nicht langweilig. Der Gebildete ist zum größten Feinde der Bildung abgeartet, denn er will die allgemeine Krankheit weglügen und ist den Ärzten hinderlich. Jener Mensch, an dem allein der Natur gelegen ist! Andererseits ist meisthin jene Biederkeit wenig wert und auch für die Wissenschaft nur selten fruchtbar, da sie am Gewohnten hängt und die Wahrheit nur bei einfachen Dingen oder in adiaphoris zu sagen pflegt; denn hier entspricht es der Trägheit mehr, die Wahrheit zu sagen als sie zu verschweigen. Ein Gelehrter kann nie ein Philosoph werden; denn selbst Kant vermochte es nicht, sondern blieb bis zum Ende, trotz dem angebornen Drange seines Genius, in einem gleichsam verpuppten Zustande. Es sind die Erben und Nachkommen jener Afterdenker, denen er auf die vielverdrehten Köpfe schlug: sie nehmen sich säuglings- und zwergenhaft genug aus, um an den irdischen Spruch zu erinnern: »nach ihren Taten werden die Menschen geboren, dumm, stumm, taub, mißgestaltet«. Unzeitgemäße Betrachtung unter den Titel Schopenhauer als Erzieher: „Ich gehöre zu den Lesern Schopenhauers, welche, nachdem sie die erste Seite von ihm gelesen haben, mit Bestimmtheit wissen, daß sie alle Seiten lesen und auf jedes … Man darf einen solchen Menschen zuletzt gar nicht mehr angreifen, denn er ist ganz Außenseite ohne Kern, ein anbrüchiges, gemaltes, aufgebauschtes Gewand, ein verbrämtes Gespenst, das nicht einmal Furcht und gewiß auch kein Mitleiden erregen kann. Nun sehe er zu, daß er sich nicht unterjochen lasse, daß er nicht gedrückt und melancholisch werde. Jener Heroismus der Wahrhaftigkeit besteht darin, eines Tages aufzuhören, sein Spielzeug zu sein. Nicht fliegen zu können, sondern nur flattern! Er hat Recht: die Menschen sind noch fauler als furchtsam und fürchten gerade am meisten die Beschwerden, welche ihnen eine unbedingte Ehrlichkeit und Nacktheit aufbürden würde. Daraus folgt, daß seine Feindschaft im Grunde gerade gegen das gerichtet ist, was zwar an ihm selbst, was aber nicht eigentlich er selbst ist, nämlich gegen das unreine Durch- und Nebeneinander von Unmischbarem und ewig Unvereinbarem, gegen die falsche Anlötung des Zeitgemäßen an sein Unzeitgemäßes; und endlich erweist sich das angebliche Kind der Zeit nur als Stiefkind derselben. Wollt ihr denn, daß der Staat den Philosophen lieber verfolge, als daß er ihn besolde und in seinen Dienst nehme?« Ohne auf diese letzte Frage jetzt schon zu antworten, füge ich nur hinzu, daß diese Konzessionen der Philosophie an den Staat doch gegenwärtig sehr weit gehen. Wenn er ihre Professuren nicht mehr unterhält, oder, wie ich für die nächste Zeit voraussetze, nur noch scheinbar und lässig unterhält, so hat er seinen Nutzen dabei – doch wichtiger scheint es mir, daß auch die Universität darin ihren Vorteil sieht. Erst wenn wir, in der jetzigen oder einer kommenden Geburt, selber in jenen erhabensten Orden der Philosophen, der Künstler und der Heiligen aufgenommen sind, wird uns auch ein neues Ziel unserer Liebe und unseres Hasses gesteckt sein – einstweilen haben wir unsre Aufgabe und unsern Kreis von Pflichten, unsern Haß und unsre Liebe. Wenn für gewöhnlich der Philosoph in seiner Zeit als zufällig erscheint – stellt sich wirklich der Staat jetzt die Aufgabe, diese Zufälligkeit mit Bewußtsein in eine Notwendigkeit zu übersetzen und der Natur auch hier nachzuhelfen? Wo wir Begabung ohne jene Sehnsucht finden, im Kreise der Gelehrten oder auch bei den sogenannten Gebildeten, macht sie uns Widerwillen und Ekel; denn wir ahnen, daß solche Menschen, mit allem ihrem Geiste, eine werdende Kultur und die Erzeugung des Genius – das heißt das Ziel aller Kultur – nicht fördern, sondern verhindern. Jetzt schon wird der einzelne, welcher jenen neuen Grundgedanken der Kultur verstanden hat, vor einen Kreuzweg gestellt; auf dem einen Wege gehend ist er seiner Zeit willkommen, sie wird es an Kränzen und Belohnungen nicht fehlen lassen, mächtige Parteien werden ihn tragen, hinter seinem Rücken werden ebenso viele Gleichgesinnte, wie vor ihm stehen, und wenn der Vordermann das Losungswort ausspricht, so hallt es in allen Reihen wider. Da werden sie auseinanderflüchten und hier und dort ein Dach suchen, die armen Scheinbaren; hier öffnet sich eine Pfarrei, dort eine Schulmeisterei, dieser verkriecht sich bei der Redaktion einer Zeitung, jener schreibt Lehrbücher für höhere Töchterschulen, der Vernünftigste von ihnen ergreift den Pflug und der Eitelste geht zu Hofe. Plötzlich ist alles leer, das Nest ausgeflogen: denn es ist leicht, sich von den schlechten Philosophen zu befreien, man braucht sie nur einmal nicht zu begünstigen. Da ist nichts in der Wissenschaft, was nicht morgen eine Umdrehung erfahren haben möchte, da gilt kein literarisches Ansehn mehr noch die sogenannten ewigen Berühmtheiten; alle Dinge, die dem Menschen zu dieser Stunde teuer und wert sind, sind dies nur auf Rechnung der Ideen, die an ihrem geistigen Horizonte aufgestiegen sind und welche die gegenwärtige Ordnung der Dinge ebenso verursachen, wie ein Baum seine Äpfel trägt. Hier verläuft sich unsre Betrachtung in das Praktische und Anstößige. Das mochte bis zu einem gewissen Grade angehen; aber es geht nicht an, wenn der moderne Staat eine Gegenphilosophie ernennt, von der er legitimiert werden will: denn er hat nach wie vor die Philosophie gegen sich, und zwar jetzt mehr als vorher. Sind doch die meisten Bücher aus Rauch und Dampf der Köpfe geboren: so sollen sie auch wieder zu Rauch und Dampf werden. Wie leicht beschädigt er sich dabei so, daß kein Arzt ihn heilen kann. Diese einzelnen sollen ihr Werk vollenden – das ist der Sinn ihres Zusammenhaltens; und alle, die an der Institution teilnehmen, sollen bemüht sein, durch eine fortgesetzte Läuterung und gegenseitige Fürsorge, die Geburt des Genius und das Reifwerden seines Werks in sich und um sich vorzubereiten. Der Mensch Goethes ist keine so bedrohliche Macht, ja in einem gewissen Verstande sogar das Korrektiv und Quietiv gerade jener gefährlichen Aufregungen, denen der Mensch Rousseaus preisgegeben ist. Um aber die Formel, unter der ich jenen neuen Kreis von Pflichten zusammenfassen möchte, ohne Bedenken aussprechen zu können, bedarf ich folgender Vorbetrachtungen. Jahrhunderts entwickelte er eine eigen… Von Zeit zu Zeit rächen sie sich für ihr gewaltsames Sich-Verbergen, für ihre erzwungene Zurückhaltung. Besser noch, sie beweisen selbst durch die Tat, daß die Liebe zur Wahrheit etwas Furchtbares und Gewaltiges ist. Der eine wendete gegen die Naturwissenschaften ein: keine kann mir das einfachste Werden völlig erklären, was liegt mir also an ihnen allen? Ach, sie braucht Erkenntnis, und ihr graut vor der Erkenntnis, die ihr eigentlich nottut; und so flackert die Flamme unruhig und gleichsam vor sich selbst erschreckt hin und her und ergreift tausend Dinge zuerst, bevor sie das ergreift, dessentwegen die Natur überhaupt der Erkenntnis bedarf. Ich nenne viertens die Selbstsucht der Wissenschaft und das eigentümliche Wesen ihrer Diener, der Gelehrten. Nur daran denkend wird die Seele einsam und unendlich; erfüllte sich aber ihr Wunsch, fiele einmal der Blick steil und leuchtend wie ein Lichtstrahl auf die Dinge nieder, erstürbe die Scham, die Ängstlichkeit und die Begierde – mit welchem Wort wäre ihr Zustand zu benennen, jene neue und rätselhafte Regung ohne Erregtheit, mit der sie dann, gleich Schopenhauers Seele, auf der ungeheuren Bilderschrift des Daseins, auf der steingewordenen Lehre vom Werden ausgebreitet liegenbliebe, nicht als Nacht, sondern als glühendes, rotgefärbtes, die Welt überströmendes Licht. jetzt riechen sie freilich sehr interessant, nach dem ganzen Orient und Okzident. Schopenhauer as Educator (" Schopenhauer als Erzieher "), 1874, describes how the philosophic genius of Schopenhauer might bring on a resurgence of German culture. Aber um einmal alle Gedanken an eine ferne Zukunft und eine mögliche Umwälzung des Erziehungswesens beiseite zu lassen: was müßte man einem werdenden Philosophen gegenwärtig wünschen und nötigenfalls verschaffen, damit er überhaupt Atem schöpfen könne und es im günstigsten Falle zu der, gewiß nicht leichten, aber wenigstens möglichen Existenz Schopenhauers bringe? Der Staat, in den Händen dieser letzteren, macht wohl, ebenso wie der Egoismus der Erwerbenden, den Versuch,[313] alles aus sich heraus neu zu organisieren und Band und Druck für alle jene feindseligen Kräfte zu sein: das heißt er wünscht, daß die Menschen mit ihm denselben Götzendienst treiben möchten, den sie mit der Kirche getrieben haben. Die ungeheure Bewegtheit der Menschen auf der großen Erdwüste, ihr Städte- und Staatengründen, ihr Kriegeführen, ihr rastloses Sammeln und Auseinander-streuen, ihr Durcheinander-rennen, Von-einander-ablernen, ihr gegenseitiges Überlisten und Niedertreten, ihr Geschrei in Not, ihr Lustgeheul im Siege – alles ist Fortsetzung der Tierheit: als ob der Mensch absichtlich zurückgebildet und um seine metaphysische Anlage betrogen werden sollte, ja als ob die Natur, nachdem sie so lange den Menschen ersehnt und erarbeitet hat, nun vor ihm zurückbebte und lieber wieder zurück in die Unbewußtheit des Triebes wollte. Aber eben nur scheinbar; denn in ihr bekämpft er das, was ihn hindert, groß zu sein,[308] das bedeutet bei ihm nur: frei und ganz er selbst zu sein. Solche Menschen haben den letzten Rest nicht nur einer philosophischen, sondern auch einer religiösen Gesinnung eingebüßt und statt alledem nicht etwa den Optimismus, sondern den Journalismus eingehandelt, den Geist und Ungeist des Tages und der Tageblätter. Jener erziehende Philosoph, den ich mir träumte, würde wohl nicht nur die Zentralkraft entdecken, sondern auch zu verhüten wissen, daß sie gegen die andern Kräfte zerstörend wirke: vielmehr wäre die Aufgabe seiner Erziehung, wie mich dünkte, den ganzen Menschen zu einem lebendig bewegten Sonnen- und Planetensysteme umzubilden und das Gesetz seiner höheren Mechanik zu erkennen. Alle Reiche des Lebens und der Natur, alle Vergangenheiten, Künste, Mythologien, alle Wissenschaften sehen den unersättlichen Beschauer an sich vorüberfliegen, das tiefste Begehren wird aufgeregt und beschwichtigt, selbst Helena hält ihn nicht länger – und nun muß der Augenblick kommen, auf den sein höhnischer Begleiter lauert. Jetzt fängt er an zu prüfen, wie tief er mit dem Werden, wie tief mit dem Sein verwachsen ist – eine ungeheure Aufgabe steigt vor seiner Seele auf: alles Werdende zu zerstören, alles Falsche an den Dingen[319] ans Licht zu bringen. – Aber wahrhaftig, es wäre auch kein Finger mehr für die deutsche Kultur zu rühren, wenn der Deutsche unter der Kultur, welche ihm noch fehlt und nach der er jetzt zu trachten hätte, nichts verstünde als Künste und Artigkeiten, mit denen das Leben verhübscht wird, eingeschlossen die gesamte Tanzmeister- und Tapezierer-Erfindsamkeit, wenn er sich auch in der Sprache nur noch um akademisch gutgeheißene Regeln und eine gewisse allgemeine Manierlichkeit bemühen wollte. Es ist immer sein Unglück, wenn er veranlaßt wird, nach etwas zu streben, mit dem er sich durch eine regelmäßige Selbsttätigkeit nicht verbinden kann.« Gerade gegen jenen Schopenhauerschen Menschen läßt sich dies mit einem guten Scheine von Recht einwenden: seine Würde und Höhe vermag uns nur außer uns zu setzen und setzt uns dadurch wieder aus allen Gemeinschaften der Tätigen heraus; Zusammenhang der Pflichten, Fluß des Lebens ist dahin. Schopenhauers Ausdruck erinnert mich hier und da ein wenig an Goethe, sonst aber überhaupt nicht an deutsche Muster. Neuerdings gefallen sie sich mit der Behauptung, daß sie eigentlich nur die Grenzwächter und Aufpasser der Wissenschaften seien; dazu dient ihnen besonders die Kantische Lehre, aus welcher sie einen müßigen Skeptizismus zu machen beflissen sind, um den sich bald niemand mehr bekümmern wird. Das bist du alles nicht selbst, sagt sie sich. Seine Ergötzlichkeit besteht darin, Knötchen in den Wissenschaften zu suchen und sie zu lösen; wobei er sich nicht zu sehr anstrengen mag, um das Gefühl des Spiels nicht zu verlieren. Zwar fehlte es nicht an entgegenstrebenden Bedingungen: so trat in seiner eitlen und schöngeisterischen Mutter jene Verschrobenheit[348] der Zeit ihm auf eine fürchterliche Weise nahe. Der heroische Mensch verachtet sein Wohl- oder Schlecht-Ergehen, seine Tugenden und Laster und überhaupt das Messen der Dinge an seinem Maße, er hofft von sich nichts mehr und will in allen Dingen bis auf diesen hoffnungslosen Grund sehen. Es ist sehr wunderlich, wie hier, zum Vorteile eines im Grunde außer- und übermenschlichen Geschäftes, des reinen und folgelosen, daher auch trieblosen Erkennens, eine Menge kleiner sehr menschlicher Triebe und Triebchen zusammengegossen wird, um eine chemische Verbindung einzugehen, und wie das Resultat, der Gelehrte, sich nun im Lichte jenes überirdischen, hohen und durchaus reinen Geschäftes so verklärt ausnimmt, daß man das Mengen und Mischen, was zu seiner Erzeugung nötig war, ganz vergißt. Jene Väter verdienten eine solche Nachkommenschaft, nach ihren »Taten«, wie der Spruch sagt. Soll ich heraus sagen, was ich denke, so lautet mein Satz: der Gelehrte besteht aus einem verwickelten Geflecht sehr verschiedener Antriebe und Reize, er ist durchaus ein unreines Metall. Doch gibt es Augenblicke, wo man gerade daran denken und erinnern muß: nämlich gerade dann, wenn der Gelehrte in seiner Bedeutung für die Kultur in Frage kommt. schnell und mit Stolz beantworten – »um ein guter Bürger, oder Gelehrter, oder Staatsmann zu werden« – und doch sind sie etwas, was nie etwas anderes werden kann, und warum sind sie dies gerade? Fort mit ihm!« Da schwanken sie nun wieder zurück,[359] zu ihrer eignen Unsicherheit und Ratlosigkeit: durchaus wollen sie ein wenig Naturwissenschaft zwischen den Händen haben, etwa als empirische Psychologie, wie die Herbartianer, durchaus auch ein wenig Historie – dann können sie wenigstens öffentlich so tun, als ob sie sich wissenschaftlich beschäftigten, ob sie gleich im stillen alle Philosophie und alle Wissenschaft zum Teufel wünschen. Innerhalb der Philosophie des 19. Fast möchte man das letztere denken, wenn man weiß, wie sich Studenten ihrer philosophischen Prüfungen wegen zu martern haben, um die tollsten und spitzesten Einfälle des menschlichen Geistes, neben den größten und schwerfaßlichsten, sich in das arme Gehirn einzudrücken. Sollten die Genannten vielleicht gar nicht mehr dafür Bürgschaft leisten, daß solche Kräfte, wie die ihrigen, wirklich noch in dem deutschen Geiste und Sinne vorhanden sind? Der wahre Denker erheitert und erquickt immer, ob er nun seinen Ernst oder seinen Scherz, seine menschliche Einsicht oder seine göttliche Nachsicht ausdrückt; ohne griesgrämige Gebärden, zitternde Hände, schwimmende Augen, sondern sicher und einfach, mit Mut und Stärke, vielleicht etwas ritterlich und hart, aber jedenfalls als ein Siegender: und das gerade ist es, was am tiefsten und innigsten erheitert, den siegenden Gott neben allen den Ungetümen, die er bekämpft hat, zu sehen. Share on Facebook - opens in a new window or tab, Share on Twitter - opens in a new window or tab, Share on Pinterest - opens in a new window or tab. Er ist ehrlich, weil er zu sich selbst und für sich selbst spricht und schreibt, heiter, weil er das Schwerste durch Denken besiegt hat, und beständig, weil er so sein muß. Jener hohe und einzige Grad von Liebe und Verständnis ist also nach der ungeschickten Verfügung der Natur nötig, damit ein niedrigerer Grad entstehe; das Größere und Edlere ist zum Mittel für die Entstehung des Geringeren und Unedlen verwendet. Jenes Entbinden ist zugleich und noch viel mehr ein In-Fesseln-Schlagen. – sich mit einem Stoßseufzer eingesteht: »Gott sei Dank, daß ich kein Philosoph bin, sondern Christ und Bürger meines Staates!«, Wie, wenn dieser Stoßseufzer eben die Absicht des Staates wäre und die »Erziehung zur Philosophie« nur eine Abziehung von der Philosophie? Von den vielen Ringen, welche,[311] durcheinander gesteckt, das menschliche Gemeinwesen ausmachen, sind einige von Gold und andere von Tombak. Warum will er so stark das Gegenteil, nämlich gerade das Leben spüren, das heißt am Leben leiden? Jener geübte Diplomat, der Goethe nur überhin angesehn und gesprochen hatte, sagte zu seinen Freunden: Voilà un homme, qui a eu de grands chagrins! 3. Wenn jeder große Mensch auch am liebsten gerade als das echte Kind seiner Zeit angesehn wird und jedenfalls an allen ihren Gebresten stärker und empfindlicher leidet als alle kleineren Menschen, so ist der Kampf eines solchen Großen gegen seine Zeit scheinbar nur ein unsinniger und zerstörender Kampf gegen sich selbst. Deshalb nenne ich es eine Forderung der Kultur, der Philosophie jede staatliche und akademische Anerkennung zu entziehn und überhaupt Staat und Akademie der für sie unlösbaren Aufgabe zu entheben, zwischen wahrer und scheinbarer Philosophie zu unterscheiden. Thus Spake Zarathustra, Friedrich Nietzsche, Modern Library, Hardcover. Er findet seinen Weg in jedem Falle, ohne daß wir auch nur merken, daß er ihn gesucht hätte; sondern wie durch ein Gesetz der Schwere gezwungen läuft er daher, so fest und behend, so unvermeidlich. Für ihn gab es nur eine Aufgabe und hunderttausend Mittel, sie zu lösen: einen Sinn und unzählige Hieroglyphen, um ihn auszudrücken. Das ist seine Größe, daß er dem Bilde des Lebens als einem Ganzen sich gegenüberstellt, um es als Ganzes zu deuten; während die scharfsinnigsten Köpfe nicht von dem Irrtum zu befreien sind, daß man dieser Deutung näher komme, wenn man die Farben, womit, den Stoff, worauf dieses Bild gemalt ist, peinlich untersuche; vielleicht mit dem Ergebnis, es sei eine ganz intrikat gesponnene Leinwand und Farben darauf, die chemisch unergründlich seien.